Schweben Im September

Wenige Tage, wenige Wochen, zwischen deinem Geburtstag und deinem Tod - der September. 

Im Nirgends.Im Krankenhaus. Schwebezustand in mir. Du, du fängst an zu schweben. Ich sehe es. Dabei ist  das letzte Wort der Ärzte immer noch nicht gesprochen. Manchmal scheint es mir, als ob sie damals schwebten und nicht wir. Bis ich endlich ernst genommen wurde. Doch noch ein CT, spät am Abend: Die diensthabende Ärztin hält meine Hand, während ich deine halte. Während du wieder Mal still halten sollst. Ich schwebe wieder in die Hoffnung, schiebe meine Ahnung beiseite während du schon wieder auf einem Bett geschoben wirst in ein Zimmer, in ein Rohr, das dir Angst macht - ohne Narkose, ohne weg schweben zu können.

Nichts Auffälliges erstmal. Doch mir fällt weiter auf, dass du anfängst dich zu verabschieden. Von Dingen und Menschen. Dass du weiterhin nicht aufstehen kannst und schwebst. Immer weiter weg. Von Menschen und Dingen. Ich nehme das ernst. Du bist mir mehr Gewissheit meiner Ahnung als jede Untersuchung. 

Ein vorgezogenes MRT bringt sie auch den Ärzten. Die letzte Untersuchung, die letzte Vollnarkose. Noch einmal schwebst du mitten im Leben. Noch einmal schwebt die Hoffnung selbst. In uns allen, weil wir geübt sind im Verdrängen. Ein letztes Mal.. bis die Bilder das hoffnungslose Ende zeigen. 


Gewissheit für alle. Meine Ahnung, dein wortloses Mitteilen ist die neue Wirklichkeit. Es gibt nichts mehr zu entscheiden, weil alles zu spät wäre. Weil du alles entschieden hast - so meine Ahnung, die zur Gewissheit wurde. Ein Schwebezustand ist beendet und ein anderer beginnt. WIR nehmen mit dir Abschied von Dingen und von Menschen. Schweben in anderen Welten. Einen ganzen September lang. 


In diesem September schwebe ich jetzt, ein Jahr später. Wieder zwischen Ahnung und Gewissheit. Ahnung, die du mir wortlos wie damals zuflüsterst. Gewissheit, die erbarmungslos wie damals, dein Tod mir ins Gesicht schreit. Ich schwebe irgendwo dazwischen. Im Nirgends. Im September. 


Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Claudia Diana (Mittwoch, 01 Juni 2022 11:59)

    Sehr bewegend. Deine Worte berühren. Ich sende mein tiefes Mitgefühl!