Zeitspuren

Die Seiten füllen sich in meinem Büchlein. Ich blättere oft zurück, um einen bestimmten Text an dich zu finden und es dauert lange. 

Viel länger dauert das Zurückblättern auf meinem Handy, um Fotos von dir zu sehen. Da gibt es dieses eine, letzte von dir und danach einfach nur bunte Bilder, nichtssagend. Fotos von uns ohne dich. Fotos von der Welt, der du abhanden gekommen bist. Du bist aber nach wie vor meine Welt. 

Ich ertrage es nicht, dich nicht sichtbar machen zu können. Ich ertrage das Zurückblättern-müssen nicht, das von Tag zu Tag immer länger dauert. Ich mache Fotos von Fotos, Screenshots von Screenshots, um dich hinein zu holen zwischen die nichtssagenden, bunten Bilder. Ich schaue mir die Sendung mit der Maus an, damit sie nicht aus der Playlist auf dem Tablet verschwindet zwischen den Dokumentationen über sterbende Kinder, Berichten über Nahtoderfahrungen, Hörbüchern zu Yoga-Philosophie und Videos von tibetischen Mönchen, die über den Tod sprechen und Quantenphysikern, die das menschliche Bewusstsein zu erklären versuchen.

Ich hole die bunten unbenutzten Kinderteller aus dem Schrank hervor, wenn ich die Spülmaschine ausräume und lege sie auf die gestapelten sauberen Teller oben drauf, nur damit sie nicht immer unten liegen bleiben.

Ich komme mir lächerlich vor und kann trotzdem nicht anders. Ich versuche festzuhalten, was unaufhaltbar ist - dass die Zeit vergeht und deine Spuren verwischt. 

Ich weiß es. Und kann trotzdem nicht die schmutzige Tür unseres Wohnzimmers abwischen, weil dort dein Handabdruck Spuren hinterlassen hat...

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