Ich habe die ersten Male in eine verborgene Kammer der Trauer geblickt. In dem endlosen dunklen Raum, scheint es eine Tür zu geben. Aus der Ferne, mittendrin im Schwarz umher irrend, sah ich immer wieder einen hellen Fleck. Mir gelang eine zweifelnde Annäherung und ich erkannte ein Schlüsselloch. Das muss eine Türe sein. Eine Türe da, wo ich dachte, dass nur Mauern kommen, wenn ich mich aus der Mitte der Dunkelheit hinaus bewege.
Ich schaute durch das Schlüsselloch, dessen Leuchten mir die Richtung gewiesen hatte. Das grelle Licht hinderte mich daran, irgend etwas zu sehen. Ich erkannte nichts, aber nun wusste ich um die Türe. Ich wusste, was ich vorher ahnte - dass es eine verborgene Kammer der Trauer gibt.
So viel Hoffnung auf dieses Verborgene - wo es sonst keine mehr gibt. Denn ich hoffe nicht auf ein Wiedersehen mit meiner verstorbenen Tochter. Wenn das die letzte Hoffnung wäre, müsste ich mich augenblicklich aus dem Leben verabschieden. Wäre die Hoffnung gleichgesetzt mit meinem Wunsch nach dem eigenen Tod.
Ich meine die Hoffnung, meiner Tochter hier im Leben begegnen zu können. Ich meine die Hoffnung, auf ein SEIN, unabhängig von Raum und Zeit, frei von hier und dort, unabhängig von tot und lebendig, frei von Trennung. Ich meine die Hoffnung, die Tiefe des Lebens in seiner Schwere zu erkennen. Ich meine die Hoffnung, dass Leid mehr wiegt als Glück, wenn wir nicht mit körperlichem Maß messen. Ich meine die Hoffnung, dass Erfüllung in etwas ganz Anderem liegt als im Glückhaben. Ich meine die Hoffnung, dass Glück nicht der Sinn ist.
Ich meine die Hoffnung, dass ich sehen kann und werde, was hinter der Türe mit dem Schlüsselloch verborgen liegt.
Ich meine die Hoffnung, einst den Schlüssel dazu in meiner Hand zu halten. Ich meine die Hoffnung, dass es derselbe Schlüssel sein wird, den gerade mein Kind hält und mir reicht. Ich meine die Hoffnung, dass wir ihn zusammen halten und sich unsere Hände dadurch berühren werden - in der verborgenen Kammer der Trauer.
Kommentar schreiben