(Nach)Weihnachtsbrief an Mein Kind

"Immernoch Januar. Immernoch im Monat vier nach deinem Tod - er ist besonders lang. Unser Weihnachtsbaum immer noch geschmückt - die Tanne, auf der rechten Seite bei dem Grab, bei deinem Baum. Ich bin oft hier, mein geliebtes Kind und mag die Kugeln nicht abhängen. Mein Versprechen aus unserer Gute-Nacht-Weihnachtsgeschichte von einem ganz ganz besonderem Weihnachtsbaum leuchtet mir entgegen in bunten Farben, riecht nach den lieben Gedanken, die in jeder Kugel stecken - von ganz vielen Menschen, die unseren Baum mitgeschmückt haben. Ich sauge alles auf. Speichere in mir. Auf Vorrat. Ich ahne, es wird anders sein und ich werde den Baum alleine schmücken (müssen). 


Aber jetzt möchte ich noch eine Weile getragen sein von diesem Zauber, hier an deinem, unserem Weihnachtsbaum. Denn Zuhause wird es keinen geben - gehört in ein früheres Leben, in ein Damals. Weihnachten gehört zu einem Leben mit dir - zu einem Leben, als du noch am Leben warst... Da gehört ein Weihnachtsbaum hin! 


Ironie des Schicksal, dass hier einer steht! Einer, der immer bleiben wird. Fest verwurzelt mit der Erde. Mit der Erde an deinem Grab. Er ermöglicht mir ein Weihnachten für dich aus einem Leben, das es nicht mehr gibt. Er ermöglicht mir ein Nichtweihnachten für mich in einem Leben, wo ALLES anders ist. Er ermöglicht mir, dieses ANDERS auch an Weihnachten zu leben.


Weißt du, mein Liebste, es ist nämlich gar nicht so einfach, dieses Anders. Ich habe von dem Brauch verwaister Eltern gelesen, einen Ast vom geschmückten Weihnachtsbaum abzusägen und damit den Gedenkplatz oder das Grab zu schmücken, während Zuhause das Loch präsent bleibt, das der Ast hinterlassen hat. Eine schöne Symbolik. Aber ich.. ich hätte keinen Zweig absägen können - für ein Loch. Dann müsste ich den ganzen!! Baum hinstellen - für das NICHTS, dass ohne dich ist! Ironie des Schicksals, dass schon einer da steht.


Und weißt du was, ich habe mir überlegt, dass wir den Spieß einfach umdrehen!? Vielleicht sägt der Papa einmal einen Ast von deinem Weihnachtsbaum hier ab und wir schmücken diesen Ast zuhause. Wir nehmen uns ein Stück von unserem alten Weihnachten mit in das Anders."


...mitnehmen...verbinden...Baum und Ast... Die Botschaft und Stimmigkeit dahinter, meine Brücke zwischen diesen zwei Leben, die ich in nur einem lebe, die Idee von einem Weihnachten, das meinem Anders nicht widerspricht, hat sich damals beim Schreiben von ganz allein entwickelt und mich sehr beseelt




 

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