Der Geruch Von Liebe -6 Monate Danach

Mein geliebtes, kostbares Kind. Es ist Februar und seit fast sechs Monaten bist du nicht mehr am Leben. Ich gehe alles durch, Tag für Tag aus dem letzten Jahr - die Zahl auf dem Kalender ist für mich ein Tag, ein Foto, ein Moment aus dem letzten Jahr mit der gleichen Zahl. Mit der Zahl drei über allem - als wir drei zusammen waren. 

Weißt du noch, der Februar war eigentlich ein guter Monat. Zumindest ein Teil davon. Wir dachten, tatsächlich die Hölle der Kinderonkologie verlassen zu dürfen. Du warst scheinbar krebsfrei. Du warst krebsfrei - für diese wenigen Wochen - lebten wir diesen Schein. Ich weiß es noch so genau, wie wir wieder Pläne schmieden. Wie wir glauben, eine Zukunft zu haben.


Wir wollen spontan in den Urlaub in diesem Februar. Du sagst lustigerweise „eweh“ dazu. Eweh fahren, eweh fahren - tönte es durch unser Zuhause neben fröhlichen Kinderliedern. Du warst ganz angetan und hast dir stundenlang mit mir Bilder von Hotels angesehen. Und das lieber, als die Sendung mit der Maus. Ich freute mich so, weil du dich so freutest! Es wurde unser letzter Urlaub. Hast du dich deshalb so sehr gefreut? Ahnte ich es schon und war deshalb so kurzenschlossen? 


Nur ein paar Tage später ging es los. Dein Papa besorgte einen kuscheligen Bademantel, der heute noch in unserem Badezimmer hängt und an dem ich immer noch schnuppere und das Gefühl habe, er würde deinen süßen Duft tragen. Vielleicht ist er auch nur ein Symbol aus einer sehr kurzen Zeit, wo es trotz deiner Krankheit so viel Freude gab und diese ganz andere Liebe, die auf uns hinab fiel vom Himmel wie der Schnee. Ganz unverhofft, zusammen mit dem Schmerz. Zusammen mit der Angst. Eine Liebe, die vermutlich nur der an die Tür klopfende Tod ins Leben bringt. Eine Liebe, die nicht trotzdem, sondern gerade deshalb so voller Leben war. 


Vielleicht rieche ich an dem Bademantel gar nicht deinen so fehlenden Geruch, sondern genau diese Liebe, die darin aufgesogen ist. An diesem Bademantel. Aus unserem letzten Urlaub. 


Vielleicht rieche ich an dem Bademantel auch die Angst. Irgendwie nicht zu trennen - diese Liebe, die so anders ist - aus der Angst um dein Leben geboren. 


Unser Urlaub endete am Parkplatz der Kinderklinik. Ich ließ mir sagen, was ich schon wusste, als du eingekuschelt in dem Bademantel vor dem Schwimmbecken gesessen bist. Wir kommen nicht zur ersten Nachsorge, sondern auf Heimweg aus unserem letzten Urlaub, zum Rückfall. 


Du hast nie mehr in ein Schwimmbad gehen können. Du hast noch nicht einmal baden dürfen. Dir.. dir, die ihr Leben verlieren wird.. dass dir nicht einmal diese kleine Freude, die für die meisten Kinder selbstverständlich ist, vergönnt war, schmerzt. Schmerzt mich bei jeder kalten Dusche und jedem warmen Bad. 

Auch nach diesem Schmerz riecht dein Bademantel. Aber er ist auch nicht zu trennen von der Liebe, die damals geboren wurde in dem Schmerz. 


Und auch heute gehen sie Hand in Hand.. Unsere Liebe wächst, Tag für Tag. Sie ist nicht geblieben über deinen Tod hinaus. Sie ist lebendig und wird mehr, nimmt neue Formen an. Eine Liebe aus dem Schmerz. Eine, die der Schmerz aus mir heraus liebt.


Danach riecht dein Bademantel. Mein Gesicht darin versunken, schnuppert diese Liebe...  

 

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