Unser Geheimnis

Still, weil im Sterben. Viele Tage warst du so still, dass es in meinen Ohren krachte. Stille ist nicht immer Ruhe. Stille ist manchmal das Pochen des Herzens zu hören und darauf zu warten, dass ein ein letzter Schlag kommt. Ein gewaltiger Schlag war dein Nichtmehr-Herzschlag mitten in den Krach der unruhigen Stille.

Sie hatte was geheimnisvolles, erfüllte den Raum und nahm meinen inneren ein. Du schliefst und schliefst und mir schien, nichts könnte dich aufwecken und dennoch bewegte ich mich nur auf Zehenspitzen, meine Hände lernten eine Langsamkeit und Behutsamkeit, wie Wolken anfassen wollen. Jedes Räuspern wäre zu viel gewesen und unsere Sprache wurde das Flüstern. Ich schmiegte mich an dich und verriet dir meine tiefsten Geheimnisse. Ich las dir meine ersten Briefe an dich vor. Zwölf. In den ersten zwölf Monaten mit dir hatte ich sie geschrieben und du hättest sie irgendwann selbst lesen sollen - in einem heiligen Moment zwischen Mutter und Tochter.  

Nun war er also da, an Heiligkeit nicht zu übertreffen, umgeben von der Totenstille, gedrängt von der tobenden Unruhe in mir. Meine geflüsterten Worte an dich bleiben unser Geheimnis. Du hast sie mitgenommen und behütete die Briefe, wie einen kostbaren Schatz.


Ab und an lese ich darin und mich überkommt wieder diese heilige Stille von damals. Nun ist sie auch ruhig, weil dir nichts mehr geschehen kann. Weil mir schon alles passiert ist. Damals und jetzt und für immer. 

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