Nichtfühlen

Ich rieche an in Erinnerungskisten verstauter Kleidung, die längst den Geruch von alt angenommen hat. Ich drehe auf volle Lautstärke nachdem ich das Lied ausgewählt habe, das ich am meisten mit dir verbinde. Ich verharre vor deinem Foto im Wohnzimmer und sehe ich es so lange an, bis es mir irgendwas zu sagen scheint. Ich laufe durch die dunklen Straßen, mutterseelenallein und bleibe an jeder Bank stehen, auf die du einmal geklettert bist.


Um mich aus dem Nichfühlen zu befreien. 


Es gibt kein schlimmeres Gefühl für mich als das Nichtsfühlen. 

Keine Traurigkeit, obwohl Trauer der rote Faden meines Weiterlebens ist.

Kein Wut, obwohl verzweifelte Gedanken ihren Weg aus dem Kopf suchen, der womöglich sonst explodieren könnte.

Keine Sehnen, obwohl jede Zelle meines Körpers vermisst.

Keine Freude, obwohl ich die kleinen Geschenke des Tages, die ich empfangen darf, klar wahrnehme.

Keine Wärme, obwohl die Sonne scheint und eine Umarmung bis zu meinem Herzen durchdringen möchte. 

Absolute Erstarrung. Das ist kein Innehalten. Das ist nicht der Punkt, an dem wir bei einer Meditation ankommen wollen - losgelöst von Gedanken und Gefühlen zu sein. Das ist keine Pause von der schweren Trauerarbeit, die ein Teil von mir eventuell einfordert. Das ist ein Nichts. 

Ein Nichts, das mir früher Angst machte, ich könnte zu Stein werden. Dass mir Angst machte, aus Erstarrung wird Verbitterung. 

Versteinert kann mensch keinen Schmerz fühlen aber auch nicht weiter lieben. Und wenn irgendetwas gibt, das schrecklicher sein könnte als dein Tod, dann wäre es genau das. 


So beschwöre ich die Tränen herauf, damit ihr Fließen Bewegung ist gegen die Starre und sich der salzige Geschmack meine Lippen erreichend über die Bitterkeit legt. Und siegt. 


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