Mäusesalz

Selbstständigkeit, die du dir als Zweijährige mitten in der Automiephase hart erkämpfen musstest aus bitteren Einschränkungen, die der Krebs mit sich im Gepäck hatte, schwand dahin mit der verschwunden Hoffnung auf eine Heilung. Stück für Stück, Schritt für Schritt lernen Kinder die Welt zu erkunden und rückwärts geht es auch - das lernte ich mit dir. Gewonnenes wieder zu verlieren, ganz ohne Bedauern und Handern und Kampf, sich hingeben, dem was ist - das lerne ich immer noch. Von dir. 

Jedes Mal, wenn wir beim Essen neben anderen Gewürzen dein Mäusesalz auf dem Tisch stehen haben, gibt es diese winzige Sekunde wieder vor meinem inneren Auge. Da hast du dich nochmal aufgebäumt und in einer Hand den Salzsträuer gehalten und in der anderen die kleine Gabel. "Das letzte Abendmahl" - so heilig schien mir das Geschehen, traurig, wissend um das Ende und doch wie ein Triumph. Bei jeder einzelne Nudel mit Spinat - streuen, picken, gekonnt zum Mund führen, lächelnd kauen und deine Maus auf dem Salzsträuer bestaunen. Wir staunten und feierten dein "alleine können" und vergaßen kurz das "wohl ein letztes Mal". Fast hätten wir übersehen (können), dass du eigentlich gar nicht mehr aufrecht sitzen konntest. Die Lagerungskissen hatte deine Freude überlagert und der Stolz, der dir ins Gesicht gemalt war und auf unsere abfärbte. Dass ich weinen konnte in all dem Elend.. weil ich stolz war und vor Freude... Du hast diesen Moment geschaffen, den ich bei mir trage. Du, die Protagonistin in dem Elend war. 

Du, die danach nicht in Frage stellte den Löffel mit dem Kartoffelbrei, den ich zu deinem Mund führte, während du liegend, halb schlafend den kleinen Mund kaum auf bekamst. 

Der Triumph des Mäusesalzs war wohl immer noch zu schmecken..



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